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Ein Gespräch mit dem Ayurveda Arzt Dr. Neelesh Taware (B.A.M.S), Pune, Indien

Ein Gespräch mit dem Ayurveda Arzt Dr. Neelesh Taware (B.A.M.S), Pune, Indien

02.11.2014 | Beobachtungen und Erfahrungen eines Brückenbauers zwischen der Ayurveda Medizin und westlicher Schulmedizin: Über aufgestellte Nackenhaare, feine Unterschiede mit großer Wirkung und wieso es immer Menschen geben muss, die „dran“ bleiben…      

Dr. Neelesh Taware macht Pause und beißt erst einmal herzhaft in sein Tomate-Mozzarella- Sandwich. Knapp eine Stunde Mittagspause, bevor sein Unterricht weitergeht. Zeit für ein Gespräch über sein Anliegen, traditionelles Ayurveda Wissen in Deutschland, Europa und den USA weiterzugeben und Brücken zwischen östlicher und westlicher Medizin zu schlagen.

Wieder einmal ist der Arzt aus Indien für Seminare, Vorträge und Konsultationen unterwegs in Deutschland, wo er sein Wissen der ayurvedischen Medizin an Studenten weitergibt. Bis zum 30. November 2014 ist er zu Gast in der SEVA Ayurveda Akademie in München. Seine Besuche sind jedes Mal ein Highlight für die Studenten. Und so erwarten sie ihn mit großer Freude und Respekt, denn Dr. Neelesh ist jemand, der alles dafür tut, das uralte Wissen der ayurvedischen Medizin so authentisch wie möglich weiterzugeben. Sogar Deutsch hat er dafür gelernt. Seine Begeisterung für Feinheiten, auf die er im Laufe seines Seminars über ayurvedische Pathologie immer wieder zurückkommt, macht auch vor seiner Ambition, an seinem deutschen Wortschatz zu feilen, nicht halt. Er ist ein Feinschleifer. Einer, der es genau wissen will. Denn Ayurveda ist eine Beobachtungsmedizin, bei der es um genaue Wahrnehmung und um einen hohen Grad an Differenzierungsfähigkeit geht. Das will er seinen Studenten beibringen, weil eben genau das den Heilungserfolg der ayurvedischen Medizin ausmacht.

 

Ayurvedische Pathologie – tausende Jahre alt, komplex und erstaunlich exakt

Von Schwarz-Weiß-Malerei hält der Mann, der die älteste Universität Indiens, die Tilak Ayurveda Mahvidyalaya Universität in Pune, besucht hat und u.a. persönlicher Schüler von Prof. Dr. Vilas M. Nanal, einem der angesehensten Ayurveda Spezialisten Indiens, ist - so ziemlich gar nichts. Es geht ihm um das Gesamtbild, das Dahinter-Schauen, was ist… und … genau: um die Feinheiten.

Diesmal ist er nach München gekommen, um seine Studenten ins Einmaleins der „Ayurvedischen Pathologie“ einzuweihen. Ein komplexes Thema, worüber indische Studenten in ihrer Ausbildung monatelang brüten. Ein Novum, es in dieser Form jetzt auch in Deutschland zu lehren. Bis jetzt hatte Neelesh dieses detaillierte Material der klassischen Schriften nicht im Ausbildungsrepertoire für seine deutschen Studenten. Interessanterweise, so stellt Dr. Neelesh zufrieden fest, sei der Wunsch, sich in die ayurvedische Materie in ihrer ganzen Tiefe einzuarbeiten, in den letzten Jahren erheblich gestiegen. Seit 2006 gehört er zum Dozententeam der SEVA Ayurveda Akademie in München und Bangalore. Er habe seitdem beobachten können, dass insbesondere deutsche Ayurveda Studenten weit mehr über die Feinheiten erfahren möchten als jemals zuvor. Das Wissensniveau sei beachtlich, so Dr. Neelesh anerkennend. Und man kann es an seinem Gesicht ablesen, wie ernst er das meint.

 

Das Übel bei der Wurzel packen, statt nur Symptome zu bekämpfen

Parallel zu dieser Entwicklung in Deutschland und Europa beobachte er seit geraumer Zeit ein spannendes Phänomen - das wachsende Selbstbewusstsein für das ayurvedische Wissen auf dem indischen Subkontinent selbst. Zwar habe man auch in Indien durchaus gewusst, mit der ayurvedischen Medizin einen Schatz zu besitzen, aber das Bewusstsein über den Wert dieses Wissens sei inzwischen auch im eigenen Land erheblich gestiegen. Vor allem den uralten Familientraditionen sei es zu verdanken, dass das kostbare Wissen über die Heilkraft der zahllosen Kräuter und Pflanzen, deren Herstellung und Anwendungsbereiche sorgfältig gehütet und von Generation zu Generation weitergegeben worden und bis heute lebendig geblieben sei.

Kommt Neelesh auf das Thema „Tradition und Moderne“ in Indien zu sprechen, schlüpft er kurzerhand in die Rolle eines Diplomaten, so bedächtig plötzlich seine Wortwahl. Vielleicht ist diese Ausdrucksweise vonnöten für jemanden, der wie er Brücken bauen will zwischen östlicher Medizin und westlicher Schulmedizin. Wenn er so richtig in Fahrt kommt, geht es allerdings doch mit ihm durch: Diese „ONE pill for all“- Haltung - also eine Medizin für alles… - auf die er bei seinen Reisen im Westen immer wieder trifft, lässt ihm die Nackenhaare aufstellen. „Mir ist absolut unverständlich, wie das nur annähernd funktionieren soll, wo doch jeder Mensch komplett unterschiedlich ist“, echauffiert er sich und stellt an dieser Stelle unmissverständlich klar: „Wir wollen das Gras nicht nur abmähen, sondern mit unserer Medizin das Übel bei der Wurzel packen.“

 

Ungleichgewichte erkennen, bevor Krankheiten daraus werden

Wer seinen Ausführungen im Seminar folgt, dem wird rasch klar, was genau er damit meint. Laut ayurvedischer Medizin entstehen Krankheiten dann, wenn der Mensch wider seine natürlichen Bedingungen lebt. Lange genug missachtet, geraten die sogenannten Doshas (Vata, Pitta, Kapha), die in allen Teilen und Zellen des Körpers für Transport und Bewegung, den Stoffwechsel und die Struktur zuständig sind, aus dem Gleichgewicht. Wird dies nicht erkannt bzw. nicht früh genug gegengesteuert, manifestiert sich dieses Ungleichgewicht in Form einer Krankheit. Die ayurvedische Medizin unterscheidet im Krankheitsverlauf insgesamt sechs Stadien. Während ayurvedische Mediziner in der Lage sind, Ungleichgewichte bereits frühzeitig , d.h. in den ersten drei Stadien zu erkennen und dank einer ganzheitlichen Betrachtungsweise mit einfachen Mitteln wie Ernährungsumstellung, Gabe von Kräutern und Dekokten, Einläufen oder Massagen behoben werden kann, noch bevor sich gröbere Funktionsstörungen und Krankheiten entwickeln, erkennt die westliche Schulmedizin Krankheiten häufig erst in einem sehr viel späteren Stadium, d.h. wenn Krankheiten bereits da sind und sich entsprechende Symptome zeigen. Deshalb kann es passieren, dass Patienten, die zwar über Beschwerden klagen, erst einmal wieder nach Hause geschickt werden, weil sich der Grund dafür in diesem Stadium noch nicht nachweisen und somit nicht behandeln lässt.

 

Gegenseitig anerkennen und Wissen teilen zum Wohle der Patienten

Der ayurvedischen Medizin kommt daher insbesondere in der Prävention eine wichtige Bedeutung zu. Aber auch in einem späteren Stadium, wenn die Krankheiten bereits ausgebrochen sind, lassen sie sich durch die Verordnung entsprechender Heilmitteln effektiv und ohne gravierende Nebenwirkungen behandeln. Die Exaktheit der komplexen Ausführungen in den klassischen jahrtausendealten Ayurveda Schriften verblüfft. Und so wird rasch deutlich, was Dr. Neelesh genau damit meint, wenn er sagt, ein Stirnguss, die sogenannte Shirodara Behandlung, sei durchaus mit einer Operation an einer Niere vergleichbar. „Wenn diese gegenseitige Anerkennung und Wertschätzung unter den Medizinern erst einmal da ist, wäre viel erreicht“, sagt er. Bis dahin allerdings sei noch ein Weg, hoffentlich ein nicht allzu langer.

Neelesh, der in Indien eine eigene Praxis mit angeschlossenem Panchakarma Zentrum führt und als Arzt und Dozent regelmäßig in Europa und den USA unterwegs ist, schätzt die Qualitäten und Vorzüge beider Medizinsysteme und spricht sich offen für eine engere Zusammenarbeit von westlicher und östlicher Medizin aus. „Ich arbeite in Indien eng mit befreundeten Schulmedizinern zusammen und bin überzeugt, dass in der Kooperation die Zukunft des Gesundheitswesens liegt. Das Wissen zu teilen und zum Wohle der Patienten zu nutzen, ist ihm ein Anliegen, wofür er sich unermüdlich einsetzt. Wenn er allerdings an den Papierwust denkt, dem sich westliche Ärzte täglich ausgesetzt sehen, schüttelt er nur den Kopf.

 

Statt endlosem Papierkram mehr Zeit für Patienten

„Da habe ich schon ein wenig Mitleid mit meinen deutschen Kollegen.“ Selbstverständlich dokumentiere man auch in Indien, aber die Maßstäbe seien anders. Er habe den Eindruck, als ob in Deutschland vor allem deshalb alles so akribisch festgehalten werde, damit man sich gegen sämtliche Eventualitäten absichern könne. „Ich mag damit falsch liegen, aber ich habe den Eindruck, da ist viel Angst im Spiel“, mutmaßt Neelesh. Sinnvoller erscheine es ihm, den in seinen Augen unverhältnismäßig großen Dokumentationsaufwand zu beschränken und stattdessen die Zeit für den Patienten zu nutzen.

 

Die Sinfonie der Doshas

Sein Gesicht hellt sich sofort auf, als er auf das Verhalten der Doshas zu sprechen kommt, die die individuelle Konstitution eines Menschen ausmachen und seine körperlichen und geistigen Funktionen regeln. Wenn er beschreibt, wie Vata, Pitta und Kapha in Disharmonie geraten, sich quasi verselbständigen und nicht mehr gegenseitig unterstützen, dann ist der 40 jährige in seinem Element. Fast könnte man den Eindruck bekommen, als rede er von lebendigen Wesenheiten, die außer Rand und Band geraten sind und ihren Schabernack im Körper treiben. Harmonie und Disharmonie sind wesentliche Kriterien für die Behandlung der ayurvedischen Medizin. Auf die Sinfonie der Doshas ist alles ausgerichtet. „Ist die Harmonie halbwegs im Rahmen, kann der Therapeut eigentlich nicht viel verkehrt machen, ganz gleich - was er dem Patienten gibt“, lacht Neelesh. „Wenn aber eine Disharmonie der Doshas vorliegt, sprechen wir von einem anderen Feld (Sanskrit: Vikitri), auf dem Fertigkeiten und ein Wissen über Feinheiten von ayurvedischen Ärzten und Therapeuten gefragt sind. Das „Wissen vom Leben“, wie Ayurveda auf Sanskrit heißt, basiert auf einer ganzheitlichen Betrachtung, bei der es auf eben jene Feinheiten ankommt.

Der ayurvedische Arzt muss daher neben dem Verhalten der Doshas auch die Dhatus (7 Gewebe), Ausscheidungsprozesse im Körper (Mala) und das Verdauungsfeuer (Agni) im Blick haben. Im Zusammenspiel mit der jeweiligen Dosha Störung und der individuellen Schwachstelle des Menschen bilden sie die maßgeblichen Voraussetzungen für Krankheit. Auskennen muss sich der Arzt aber auch mit den Kräutern und Pflanzen, die je nach Qualität, Art der Aufbereitung und nach Gabe zu unterschiedlichen Tageszeiten jeweils komplett andere Wirkungen haben können.

 

Unübertroffen in der Heilwirkung - schwarzer Sesam

Schwarz-Weiß-Malerei mag der Mann aus Indien nicht. Eigentlich...;-) Bei der Verwendung von schwarzem und weißem Sesam macht er allerdings eine Ausnahme. Die älteste Ölpflanze der Welt ist wesentlicher Bestandteil ayurvedischer Öle. Und auch hier kommt es auf den feinen Unterschied an, denn schwarzer und weißer Sesam sind so unterschiedlich wie 24- und 14-Karat Gold.

 


Foto von Eva Elijas von Pexels


Schwarzer Sesam

Der schwarze Sesam ist laut Expertenmeinung in seiner Wirkung unübertroffen. In seiner Konsistenz durchdringt er die menschlichen Gewebeschichten um ein Vielfaches tiefer als sein kleiner, weißer Bruder und ist damit erheblich effektiver in seiner Heilkraft. Der überwiegende Teil der Ayurveda Branche setzt aus Preisgründen weißen Sesam ein. Doch die Qualität macht sich bemerkbar sowohl für den Patienten als auch den Therapeuten. „Ich kann durchaus verstehen, wenn insbesondere kleine Praxen den Preis dafür nicht zahlen können.“ Für den Arzt aus Indien ist die Entscheidung allerdings nicht nur eine Frage des Preises, sondern auch der Haltung. Es sei durchaus ein offenes Geheimnis, dass in der Ayurveda Branche „gestreckt“ werde, d.h. hochwertige Öle auf Basis des schwarzen SesamÖle)  würden mit herkömmlichen, weniger teuren Ölen gemischt, erzählt Neelesh von seinen Erfahrungen. Gut sei das selbstverständlich nicht, aber allemal findet er das „Strecken“ besser als Öle auf rein weißer Sesambasis zu verwenden. Jeder, der einmal mit schwarzem Sesamöl gearbeitet habe, kenne und fühle den Unterschied. Auf gewisse Weise findet er Helga M. Schmidt, die vor 20 Jahren SEVA Ayurveda gegründet hat, verrückt. Aber er liebt ihre Konsequenz. „Menschen wie Helga muss es geben, so wie es bei uns in Indien Familien gibt, die niemals aufgehört haben, trotz Repressalien, das Ayurveda Wissen zu bewahren und es von einer Generation zur anderen weitergegeben haben“, sagt Neelesh voller Respekt.

 

Verantwortung für die eigene Gesundheit

Das beste Kraut und Öl nutzt indes nichts, wenn der Patient nicht mitmacht. Deshalb ist es dem indischen Arzt ein besonderes Anliegen, die Verantwortung des Patienten in den Vordergrund zu rücken. Es liegt nun mal in der Natur des Menschen, dass er - solange es ihm gut geht - nicht so sehr auf sich achtet. Erst wenn ihm etwas fehle, unternehme er etwas. „Meist schiebt er dann die Verantwortung an den Arzt ab“, fasst Neelesh seine Erfahrungen zusammen. „Dabei liegt es doch auf der Hand, dass niemand anderes als er selbst die Verantwortung für seine Gesundheit trägt.“ Für die Zukunft wünscht sich Dr. Neelesh Taware deshalb vor allem eines: dass der Mensch lernen möge, seine Wahrnehmung zu schärfen und mehr Bewusstheit für die eigene, innere Balance zu entwickeln.

 

Von Carla-Susanne Kleinjohann für die Internationale Akademie für Ayurveda München

 

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